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Der Wasserfall

Fern der wimmelnden Menschenmassen ging ein Mann in die Wälder, um unter einem Himmel voller Sterne und neben einem plätschernden Wasserfall seiner Seele eine Rast zu gönnen. „Was tust du hier in dieser wunderschönen sternenklaren Nacht?“ fragte der Wasserfall. „Ich ruhe meine Seele aus“, antwortete der Fremde. „Deine Seele? Wovon?“ , fragte der lebendige Wasserfall. „Das würdest du nicht verstehen“, entgegnete der müde Wanderer. „Danke einfach den Bergen und dem Bach, die dich hier halten, fern von der Zivilisation, wo deine Musik meiner Seele Ruhe schenken kann.“ Eine Weile schwieg der Wasserfall und dachte nach. „Tatsächlich“, sagte er dann, „solltest du den Bergen und dem Bach danken, weil sie dich nirgendwo halten. Dir ist das Recht geschenkt, eine Wahl zu treffen, und du kannst nach Belieben kommen und gehen. Und dennoch muss deine Seele rasten? Ich wünschte, ich könnte mit dir zu diesen wimmelnden Menschenmassen reisen und sehen, woher du gekommen bist.“ Nie vergaß der Fremde die Worte des Wasserfalls. Ein Jahr verging, und die schlimmste Dürre seit Menschengedenken ließ die Wälder der Insel verdorren, in die er sich einst zurückgezogen hatte, um seiner Seele Rast zu schenken. Als er nach dieser Zeit in die Wälder zurückkehrte, war der Bach gänzlich ausgetrocknet, und an der Stelle, an der einst der Wasserfall gesungen hatte, war nur noch kalter, trockener Stein. „Trauere nicht um den Wasserfall“, sprach der Wind von fern an, „denn er wurde zu der Wolke, die dir jetzt Schatten spendet. Lerne die Dinge im Licht der Wahrheit zu sehen, und du wirst mit Verstehen gesegnet werden. Der Wasserfall hat entdeckt, dass er doch eine Wahl hatte. Nun ist er zu einer Wolke geworden, die sich schließlich in Regen verwandeln wird, und dann… wer weiß? Nachdem er in die Zivilisation gereist ist, wird er vielleicht von neuem wünschen, ein lebendiger Wasserfall zu werden; denn jedes Wesen der Schöpfung hat eine Wahl, und der Akt der Entscheidung schenkt unserem Leben Bedeutung.“ „Aber wo in diesem ewigen Kreislauf ist mein Platz?“, fragte der Fremde. „Du solltest noch einmal alles betrachten, was du gelernt hast. Beobachte und verstehe die Dinge, die um dich herum geschehen. Sie alle sind ein Teil von dir, und du bist ein Teil von ihnen. Dann wirst du deine Wahl treffen können.“ Er verstand, was der Wind von fern zu ihm gesagt hatte, Um seinen wahren Lebenszweck zu erkennen, mit aufrichtigem Begreifen und ohne Begrenzungen, würde er sich auf die Suche danach machen müssen. Und nun, als er zum Himmel aufblickte und den lebendigen Wasserfall wie einen weißen Watteball sah, begann der Regen auf ihn herabzufallen. Das ist der lebendige Wasserfall, dachte er. Wahrhaftig, alles ist eins, wie der Wind es gesagt hat. Und so kehrte der Fremde ruhig zu den brodelnden Massen zurück, in die er gehörte, so wie der Regen zu dem Bach wurde, in den er gehörte. Denn er hatte seinen Lebenszweck erkannt: Die Schätze, die er entdeckt hatte, mit anderen zu teilen.

© Tanja Blixen

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